Saljol Experte
Dr. Michael Lorrain
Vita
Dr. Michael Lorrain ist Facharzt für Neurologie mit dem Schwerpunkt Diagnose und Behandlung von altersbedingten Erkrankungen des Gehirns (z.B. Schlaganfall, Parkinson, Demenz). Er verfügt über langjährige Praxiserfahrung u.a. als Partner einer großen neurologischen Gemeinschaftspraxis in Düsseldorf und konsiliarischen Tätigkeiten in Krankenhäusern und Seniorenheimen.
Er leitet Informationsveranstaltungen für Patienten, Angehörige, Ärzte und Pflegekräfte zu neurologischen Krankheitsbildern. Als Vorstandsmitglied engagiert er sich im Verband für Qualitätsentwicklung in Neurologie und Psychiatrie (QUANUP) und als Vorstandsvorsitzender in der Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI).
Einleitung Schlaganfall
Der Schlaganfall ist ein dramatisches, plötzlich auftretendes Ereignis. Ursache ist eine gefäßbedingte Erkrankung des Gehirns, bei der es zu einer sofortigen Schädigung des Hirngewebes aufgrund eines Gefäßverschluss, eines Blutgerinnsels oder einer Blutung kommt. Diese Schädigung hinterlässt meistens anhaltende Ausfälle im Bereich der Bewegung, Koordination, Wahrnehmung und/oder der Sprache. Eine flüchtige Symptomatik ist die sogenannte Transitorisch Ischämische Attacke (TIA) mit einer umschriebenen neurologischen Funktionsstörung, die sich innerhalb von 24 Stunden vollständig zurückbildet.
Zahlen zur Erkrankung
Der Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und eine Hauptursache für Einschränkungen bei Erwachsenen (WHO 2020). In Deutschland treten fast 300.000 Schlaganfälle jährlich auf. Nach einem Schlaganfall haben 40 % der Betroffenen erhebliche Beeinträchtigungen ihrer Beweglichkeit.
Die demographische Entwicklung wird die Fallzahlen in den nächsten Jahren leider weiter nach oben treiben. (Bennett 2014). Aber 15 % der Schlaganfälle treten auch bei jüngeren Erwachsenen (unter 50 Jahre) auf (Feigin 2017; Kissela 2012; Singhal 2013). Das hat häufig andere Gründe als bei älteren Menschen. Ursachen sind dann Gehirnentzündungen, Gerinnungsstörungen bei Einnahme der Pille, Herzrhythmusstörungen, Nebenwirkungen von Chemotherapie und andere. Oft wird bei einem Schlaganfall nicht an Jüngere und auch Frauen gedacht, ähnlich wie beim Herzinfarkt.
Ein Schlaganfall hat oft langfristige Auswirkungen auf die Fähigkeit, sich um die Familie zu kümmern, zur Arbeit zurückzukehren und andere wichtige Lebensrollen zu übernehmen (Martinsen 2012).
Der persönliche Fall
In der Pandemie-Zeit verbrachte ich viel Zeit im Freien. Hier sah ich einen 55-jährigen Mann mit einer halbseitigen Lähmung auf einem Platz. Nachdem ich ihn über zwei Wochen regelmäßig gesehen hatte, sprach ich ihn an und fragte, was passiert sei. Ursache der Lähmung war ein Schlaganfall, verursacht durch eine Blutung auf der linken Seite des Gehirns zwei Jahre zuvor. Er leide sehr unter der starken Anspannung der gelähmten Körperseite, die Sprache habe sich unter intensiver Sprachtherapie (Logopädie) schon gebessert.
Auch zwei Jahre nach dem Ereignis konnte er lediglich mit Mühe die Straße zu seinem gegenüber dem Platz liegenden Haus gehen. Weitere Strecken wurde er von seiner Frau im Rollstuhl geschoben. Ich habe ihn über die Möglichkeiten der Behandlung mit Botox (Fachausdruck Botulinumtoxin) und angepassten Hilfsmitteln aufgeklärt. Auch über die Möglichkeit, eine erneute Reha zu beantragen und ambulante Physiotherapie durchzuführen. Diese Möglichkeiten waren ihm nicht bekannt.
Circa sechs Monate später sah ich ihn etwa zwei Kilometer entfernt von seinem Wohnhaus wieder. Er kam freudestrahlend auf mich zu und berichtete, dass eine Botox-Behandlung des Armes und Beines zu einer deutlichen Verminderung der Spannung in der gelähmten Körperseite geführt habe. Stolz präsentierte er mir einen speziellen Rollator mit einer Einhandbremse. Seine Lebensqualität hatte sich durch die gezielte und individuelle Behandlung erheblich gebessert.
Auswirkungen eines Schlaganfalls
80 % der Menschen, die einen Schlaganfall überleben, leiden unter einer veränderten motorischen Beweglichkeit auf einer Körperseite (Hemiplegie). Dadurch werden die Aktivitäten des täglichen Lebens erheblich eingeschränkt (Langhorne 2009). Am meisten werden Betroffene von Lähmungen einer Körperseite in ihrem Alltag beeinträchtigt.
Behandlungsmöglichkeiten
Bei Schlaganfällen mit Lähmungen erfolgt eine stationäre Rehabilitation mit anschließender ambulanter Nachsorge als Bestandteil der gesetzlichen Reha-Maßnahmen (IRENA).
Aber nur knapp 40 % der Patienten erhalten eine Reha, davon 13 % ambulant.
Eine Untersuchung zur mobilen geriatrischen Rehabilitation (MoGeRe) im häuslichen Umfeld zeigte eine verbesserte Lebensqualität und einen Zugewinn an Beweglichkeit bei einer ambulanten Reha im Vergleich zur stationären Reha.
Die interdisziplinäre Versorgung mit aktivierenden Therapien (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) und technischen Hilfsmitteln in Zusammenarbeit mit teilstationärer neurologischer Behandlung steckt in Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern (Niederlande) leider noch in den Kinderschuhen.
Die Versorgung mit Physiotherapie, Ergotherapie und Sprachtherapie (Logopädie) ist im deutschen Gesundheitssystem zudem nur zeitlich begrenzt verordnungsfähig: Für die Dauer eines Jahres nach dem Schlaganfall mit Lähmungen oder anderen neurologischen Ausfällen (Aphasie etc.).
Hilfsmittel
Die Versorgung mit Hilfsmitteln stellt bei vielen Betroffenen einen wesentlichen Faktor zur Wiederherstellung der selbstständigen Versorgung und Wiedererlangung der Teilhabe am täglichen Leben dar – ergänzend zur Therapie.
Vom Gehstock über den passenden Rollator und individuell angepasste Rollstühle bis hin zu Hightech-Produkten (Virtual Reality Training) stehen viele Hilfen zur Verfügung. Durch frühzeitige und individuell spezifisch angepasste Therapie und Hilfsmittel kann die Lebensqualität der Betroffenen auf Jahre hinaus deutlich verbessert werden.
Hilfsmittel wie Rollatoren dienen auch der Sekundärprävention, denn: Nach dem Schlaganfall bestimmt die Reha im Wesentlichen die Fähigkeit der Betroffenen, sich im Alltag wieder bewegen zu können. Die anschließende ambulante Physiotherapie ist nicht mehr so intensiv wie in der Reha. Das führt oft zu einer Abnahme der Übungen und damit der Beweglichkeit. Folge ist unter anderem eine erhöhte Sturzgefahr. Es entsteht ein Teufelskreis: Sturz – Angst – Vermeidung. Dieses Rückzugsverhalten verschlechtert die Lebensqualität erheblich.
Ein angepasster Rollator verbunden mit einer kompetenten Schulung erhält die selbstständige Lebensführung und -qualität. So kann eine komplementäre (ergänzende) Sekundärprophylaxe für Schlaganfall bedingte (Folge-)Komplikationen betrieben werden.
Medikamente
Direkte medikamentöse Behandlungen können die Folgen eines Schlaganfalles lindern und werden individuell vom Hausarzt oder Neurologen verordnet. Auch werden Mittel zur Hemmung der Blutgerinnung (z.B. ASS oder andere Gerinnungshemmer) zur Vorbeugung weiterer Schlaganfälle gegeben. Komplikationen eines Schlaganfalls, die medikamentös behandelt werden, sind unter anderem erhöhte Muskelanspannung (Spastik), epileptische Anfälle (selten) und Depressionen. Mit großem Erfolg wird die lokale Botulinumtoxin-Behandlung (Botox, BTX) angewendet.
Zusammenfassung
Ein Schlaganfall ist eine schwere Erkrankung. Sie verändert das Leben der betroffenen Personen nachhaltig. Die Folgen der Erkrankung können jedoch durch gezielte und individuelle Maßnahmen heute besser behandelt werden denn je. Die Hilfsmittelversorgung stellt neben den aktivierenden Therapien einen wesentlichen Faktor in der Nachbehandlung dar.
Die Lebensqualität kann durch den frühen konsequenten Einsatz interdisziplinärer Behandlungsmaßnahmen verbessert werden. Die beste Variante ist natürlich, durch vorbeugende Reduzierung von Risikofaktoren einem Schlaganfall vorzubeugen. Prophylaxe ist: Mehr Bewegung und Sport, Gewichtsabnahme, RR-Regulation und Blutwerte kontrollieren: LDL-Cholesterin, Blutzucker, Harnsäure. Zudem ist es wichtig, familiäre Belastung zu beachten. Diese Faktoren erhöhen beispielsweise bei Frauen das Risiko erheblich: Pille, Herzrhythmusstörungen, Neigung zu Thrombosen, Rauchen und Übergewicht.
Fragen und Tipps zum Thema
Häufig gestellte Fragen
Wo bekomme ich Hilfe und was muss ich unternehmen?
- Im Krankenhaus und in der Rehaklinik => Sozialberatung
- Pflegegrad beantragen
- Evtl. Haushaltshilfe beantragen
Wer verschreibt mir Hilfsmittel?
- Hausarzt, Neurologe
- Wichtig: Bei Physiotherapierezept auf Zusatz ZNS achten
- Es besteht ein Rechtsanspruch auf Hilfsmittel
Was mache ich, wenn ich im zweiten Jahr nach einem Schlaganfall noch Physio- und Ergotherapie oder Logopädie brauche?
- Es gibt die Möglichkeit, „Folgen eines Schlaganfalls und Hemipares“ auf der Verordnung zu verschlüsseln
- Bei privat Krankenversicherten müssen in regelmäßigen Abständen Begründungen vom ausstellenden Arzt geschrieben werden. hier ist die Devise: Hartnäckig bleiben!
- Es gibt Stiftungen wie die Breucker Stiftung, die auf Antrag hin Therapiekosten übernehmen
Wo bekomme ich Botolinustoxin Behandlungen und wie lange muss ich das machen?
- In spezialisierten neurologischen Praxen, Ambulanzen und an Unikliniken
- Alle drei Monate eine Behandlung, zeitlich unbegrenzt
Wann bekomme ich wieder ein Reha?
- Alle vier Jahre kann eine Reha durchgeführt werden
- Kostenträger bei Berufstätigen => Deutsche Rentenversicherung
- Kostenträger bei Berenteten => Krankenkasse
Zu welchem Arzt muss ich zur Kontrolle und wie oft?
- Hausarzt: regelmäßig, wenn andere Erkrankungen vorliegen
- Neurologe/Kardiologe: einmal pro Jahr
- Wenn aufgrund von neurologischen Defiziten Hilfsmittel verordnet werden: einmal pro Quartal zum verordnenden Arzt
Tipps
Vorbeugen ist besser als behandeln
Risikofaktoren beachten
- Diabetes, hoher Blutdruck, Herzrhythmusstörungen, Cholesterin
- Übergewicht
- Zu wenig Bewegung
- Familiäre Belastung mit Gefäßkrankheiten (Herzinfarkt, Schlaganfall)
Aktiv sein und sich bewegen
- ca. 1,5 Stunden Bewegung pro Woche
- Sport, Gymnastik
- Regelmäßiger Kontakt mit anderen Menschen
- Wenn vorhanden, Hilfsmittel jeden Tag benutzen
Selbstpflege
- Achtsamkeit – eigene Bedürfnisse erkennen und leben
- Ernährung bewusst gestalten
- Kein Nikotin und wenig oder keinen Alkohol
Sinnvolle Therapien nach einem Schlaganfall
Physiotherapie
- Wiederherstellung der Kraft und Beweglichkeit
- Förderung und Verbesserung von Motorik, Koordination und Gleichgewicht
- Schulung der grob- und feinmotorischen Bewegungen
- Steigerung der Muskelkraft, Muskelausdauer und Belastbarkeit
Ergotherapie
- Unterstützung und Anleitung beim (Wieder)-Erlernen der Selbstversorgung im Alltag
- Koordination der Bewegungsabläufe im Bereich Feinmotorik
- Konzentrations- und Gedächtnisübungen
- Verarbeitung des Krankheitsgeschehens
Logopädie
- Sprache wieder erlernen
- Schluck- und Sprechübungen
Medikamentöse Therapie
- Vorbeugung gegen erneute Schlaganfälle (Gerinnungshemmung im Blut)
- Behandlung von Spastik
- Behandlung einer Depression
- Schutz vor epileptischen Anfällen
Hilfsmittel – z.B. Rollatoren
- Abhängig von Art und Grad der Schädigung
- Ideal: Hilfsmittel werden nach einer Reha verordnet, wenn sich abzeichnet, wie groß die neurologischen Ausfälle sind. Rückbildungen sind noch bis zu 1,5 Jahre nach dem Ereignis möglich (Ausnahme: schlaffe Lähmungen, die zwei Monate nach dem Schlaganfall noch bestehen)
- Individuelle Anpassung und Schulung vor Ort im Sanitätsfachhandel
Produktberatung
Saljol Service Team
+49 (0) 8141 317 740
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